Erklärung / Summary

Mit der Rassismusstrafnorm können rassistische Hetze und Diskriminierung sowie die Leugnung von Völkermorden strafrechtlich verfolgt werden.

Die Rassismusstrafnorm (Art. 261bis StGB) wurde geschaffen, um Menschen und Menschengruppen vor rassistischer Diskriminierung, Herabsetzung und Hetze aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten «Rasse», Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu schützen. Jeder Mensch hat einen bedingungslosen Anspruch darauf, als gleichberechtigtes Wesen anerkannt zu sein und nicht als minderwertig bezeichnet oder behandelt zu werden. Die Rassismusstrafnorm dient also einem Ziel, das eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber – wie die Erfahrung zeigt – in keiner Gesellschaft, in keinem Land selbstverständlich ist.
Nicht von der Rassismusstrafnorm geschützt wird die Religion als solche. Es ist nicht strafbar, sich kritisch über das Christentum zu äussern, sich über Moses lustig zu machen oder Mohammed-Karikaturen zu zeichnen, solange damit nicht die Angehörigen der jeweiligen Religion herabgesetzt und diskriminiert werden. Die Rassismusstrafnorm schützt also Menschen und nicht Religionen.
Seit 20 Jahren gibt es in der Schweiz die Rassismusstrafnorm. Die Urteilssammlung der EKR zeigt, dass sie von den Gerichten und Staatsanwaltschaften erfolgreich angewendet wird und den Opfern von rassistischer Diskriminierung eine wirksame Handhabe gibt, sich gegen die erlebte Verletzung zu wehren.

Beispiel Verurteilung

  • Die Strafverfolgungsbehörde verurteilte eine Person wegen Rassendiskriminierung, weil sie Jenischen, Sinti und Roma gedroht hatte, sie alle mit einem Bagger niederzufahren und ihre Wohnungen anzuzünden, bzw. das «Sauzigeunerpack» zu vernichten. Später fuhr die Person mit dem Auto in hohem Tempo an den Wohnwagen und den spielenden Kindern vorbei.

Beispiel Freispruch

  • Die angeklagte Person beschimpfte vor einem Restaurant eine Personengruppe mit «Huere Albaner» und «Scheiss Jugos». Die zweite Rechtsinstanz sprach den Angeklagten frei. Sie sah die Herabsetzung der Menschenwürde im Sinne der Rassismusstrafnorm nicht gegeben, weil den Albanern durch die Äusserungen nicht ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen werde und sie nicht als minderwertige Wesen behandelt worden seien.

Die Beispiele zeigen, dass nicht jedes rassistisch diskriminierende und beleidigende Verhalten gegenüber Angehörigen einer anderen «Rasse», Religion, Ethnie oder sexuellen Orientierung bestraft wird. Die Rassismusstrafnorm ist als rote Linie zu sehen, die aufzeigt, ab wann eine rassistische Handlung strafbar ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Handlungen, die diese rote Linie nicht überschreiten, akzeptabel sind.

Oft wird kritisiert, dass in der Rassismusstrafnorm nicht genau genug festgelegt sei, was verboten sei und was nicht. Natürlich muss Art. 261bis StGB, wie jede andere Strafnorm auch, von den Gerichten interpretiert (ausgelegt) werden. Gerade bei strafrechtlichen Bestimmungen, die ja ein Unrecht benennen und umschreiben sollen, werden Begriffe verwendet, die notwendigerweise eine Wertung ausdrücken sollen. Eine Strafnorm ist keine detaillierte Gebrauchsanweisung für den Einzelfall, sie muss auf jeden konkreten Einzelfall angewendet werden.
Wir kennen im Strafrecht unzählige solcher eher offenen Umschreibungen von strafbaren Handlungen, die seit Jahrzehnten angewendet werden. Zu denken ist hier beispielsweise an Art. 173 StGB (üble Nachrede), der den Begriff des «unehrenhaften Verhaltens» enthält (Was genau ist nun «unehrenhaft»?) oder Art. 146 StGB (Betrug), bei dem die Lüge, mit welcher der Betrug begangen wird, «arglistig» sein muss (wann ist etwas «arglistig»?).
In der Debatte um Art. 261bis StGB ist es also wichtig zu unterstreichen, dass sich die Strafnorm in ihrer Auslegebedürftigkeit nicht von anderen Normen des Strafrechts unterscheidet.

Fazit: Seit 20 Jahren wird die Rassismusstrafnorm von den Gerichten und Staatsanwaltschaften angewendet, um rassistische Hetze, Diskriminierung und die Leugnung von Völkermorden zu bestrafen. Wie andere Strafnormen, enthält auch die Rassismusstrafnorm keine detaillierte Gebrauchsanweisung für jeden konkreten Einzelfall. Es ist Aufgabe der Gerichte, im Einzelfall abzuklären und zu entscheiden, ob eine Handlung strafbar ist. Rassistische Einstellungen in der Gesellschaft verhindert die Strafnorm nicht. Dies ist aber auch nicht die Aufgabe einer Strafrechtsnorm, sondern vielmehr die einer wirkungsvollen Sensibilisierungsarbeit.

 

Kein Maulkorb

Die Rassismusstrafnorm stellt Handlungen und Äusserungen in der Öffentlichkeit unter Strafe, sie ist weder Maulkorb noch Gesinnungsstrafnorm.
Der Wortlaut der Rassismusstrafnorm zeigt deutlich, dass nur Handlungen und Äusserungen, die in der Öffentlichkeit geschehen und anderen Menschen aufgrund ihrer «Rasse», Religion, Ethnie oder sexuellen Orientierung die Menschenwürde und damit das gleichberechtigte Dasein absprechen, unter Strafe gestellt sind.

Dies sind beispielsweise:

  • das Aufrufen zu Hass und Diskriminierung
  • die systematische Verleumdung und Herabsetzung
  • das Organisieren von Propagandaaktionen
  • das Verstossen gegen die Menschenwürde und das Herabsetzen oder Diskriminieren eines Menschen durch irgendeine Verhaltensweise – sei es Wort, Schrift, Bild, Gebärden oder Tätlichkeit
  • das Leugnen, gröbliche Verharmlosen, Rechtfertigen von Völkermord oder von anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  • die Verweigerung einer der Allgemeinheit angebotenen Dienstleistung aus rassistischen Motiven

Gesinnungen und Gedanken sind demgegenüber frei. Sie sind nicht strafbar.

Öffentlich ist eine Handlung immer dann, wenn sie nicht in einem Umfeld erfolgt, das sich durch persönliche Beziehungen oder durch besonderes Vertrauen (wie z.B. im Familien- und Freundeskreis) auszeichnet. Ob eine Handlung öffentlich ist, hängt also von der konkreten Situation ab.

In einem richtungsweisenden Urteil aus dem Jahr 2004 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob ein Vortrag über die Entstehung der SS und der Waffen-SS in einer abgelegenen Waldhütte vor rund 50 Personen aus der Skinhead-Szene öffentlich war oder nicht. Zum Vortrag eingelassen wurden Personen, die eine schriftliche Einladung vorweisen konnten. Grundsätzlich hielt das Bundesgericht fest, dass alles, was nicht privat ist, im Sinne von Art. 261bis StGB als öffentlich zu beurteilen sei. Äusserungen und Verhaltensweisen sind laut dem Urteil immer dann als privat anzusehen, wenn sie «(…) im engen Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld erfolgen». Der blosse Umstand, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung die gleiche Gesinnung haben, bedeutet nicht, dass diese auch persönlich befreundet sind.

Durch dieses Urteil wurde der Anwendungsbereich der Rassismusstrafnorm – entgegen gewisser Behauptungen – nicht erheblich ausgeweitet. Schon vor diesem Bundesgerichtsurteil waren Äusserungen rassistischen Inhalts z.B. am Stammtisch dann strafbar, wenn andere Restaurantbesucher diese mithören konnten. Der EKR ist jedoch bis heute kein einziges «Stammtischurteil» bekannt, welches zu einer Verurteilung geführt hat.
Die Frage, wann eine Handlung öffentlich ist, wurde für die Rassismusstrafnorm nicht neu erfunden. Den Begriff der Öffentlichkeit gab es schon lange vor der Einführung der Rassismusstrafnorm, er wird in einer Vielzahl anderer Normen verwendet und es besteht bereits eine breite Rechtsprechung hierzu.

Fazit: Wenn durch Reden oder andere Handlungen in der Öffentlichkeit Menschen wegen ihrer «Rasse», ihrer Ethnie, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung diffamiert und verletzt werden, unterliegt dies der Rassismusstrafnorm. Gesinnungen und Gedanken sind demgegenüber nicht strafbar.
Die Menschenwürde ist der unantastbare Kern aller Grundrechte – die Rassismusstrafnorm schützt diesen Kern. Die Meinungsäusserungsfreiheit ist kein Freipass zur Verletzung der Menschenwürde.
Das primäre Ziel von Art. 261bis StGB ist es nicht, rassistische Meinungen zu verhindern, sondern die Würde der betroffenen Personen und den öffentlichen Frieden zu schützen. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts bestätigt dies und hält fest, dass bei der Auslegung von Art. 261bis StGB der Meinungsäusserungsfreiheit genügend Rechnung zu tragen sei.

 

Garantie der Menschenwürde

Die Gegner der Rassismusstrafnorm haben in ihren Bemühungen, die Strafnorm abzuschaffen oder abzuschwächen, immer wieder darauf hingewiesen, die Rassismusstrafnorm schränke die Meinungsäusserungsfreiheit ein. Es ist jedoch so, dass auch bei anderen Strafnormen die Meinungsäusserungsfreiheit eingeschränkt werden kann. So wird zum Beispiel durch Ehrverletzungstatbestände (Üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung Art. 173–177) im Strafgesetzbuch die Meinungsäusserungsfreiheit eingeschränkt.

Die Meinungsäusserungsfreiheit gilt gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene absolut. Sie kann – wie jedes andere Freiheitsrecht – aufgrund eines überwiegenden öffentlichen oder privaten Interesses eingeschränkt werden.
So steht z.B. die Meinungsäusserungs-, Presse- und Informationsfreiheit dem Recht auf Schutz der Persönlichkeit und Privatsphäre diametral gegenüber. Das eine Recht ist häufig ohne Verletzung oder Einschränkung des anderen nicht zu verwirklichen. In diesem Fall kann eine Lösung tatsächlich nur über eine Güterabwägung gefunden werden. Dies bedeutet, dass ein Gericht entscheiden muss, welchem Recht im konkreten Einzelfall der Vorrang einzuräumen ist.

Bei Rassismus und Rassendiskriminierung geht es jedoch nicht um solche kollidierenden gleichwertigen Grundrechte. Die Annahme, dass ein solcher Grundrechtskonflikt grundsätzlich auch zwischen Art. 261bis StGB und der Meinungsäusserungsfreiheit besteht, ist aus rechtswissenschaftlicher Sicht ein Irrtum. Die Garantie der Menschenwürde, welche von der Rassismusstrafnorm geschützt wird, ist der unantastbare Kern und die Voraussetzung für die Existenz der übrigen Grundrechte, also auch der Meinungsäusserungsfreiheit. Es kann nicht angehen, dass einem Menschen Freiheitsrechte zugestanden werden, die dieser wiederum nutzen kann, um anderen Menschen ihre Menschenwürde und damit auch die Freiheitsrechte abzusprechen.  Es gibt kein Menschenrecht auf Verletzung der Menschenwürde.

Fazit: Die Menschenwürde ist der unantastbare Kern und die Grundvoraussetzung aller Grundrechte, sie wird von der Rassismusstrafnorm geschützt. Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht, sie darf jedoch nicht missbraucht werden, um anderen Menschen die Menschenwürde abzusprechen.

 

Die Statistik

Die Rassismusstrafnorm soll sicherstellen, dass politische Auseinandersetzungen nicht auf Kosten von Angehörigen bestimmter «Rasse», Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung geführt werden.

Eine von den Gegnern der Rassismusstrafnorm oft geäusserte Befürchtung, ist der mögliche Missbrauch der Strafnorm zu politischen Zwecken und eine Schwemme von Anzeigen und Verurteilungen. Um diese Befürchtungen zu entkräften, reicht ein Hinweis auf die Statistik zu den Entscheiden und Urteilen zu Art. 261bis StGB der EKR und ein Blick auf die Rechtsprechung.

Vorfälle, bei denen der Angeklagte ein politischer Akteur ist, machen nur 8% der Entscheide zu 261bis StGB aus. Von diesen 8% führte nur die Hälfte der Entscheide zu einem Schuldspruch. Es ist offensichtlich, dass die Rassismusstrafnorm in den allermeisten Fällen nicht dazu missbraucht wird, politische Akteure zum Schweigen zu bringen, auch die Rechtsprechung bestätigt dies.

Das Bundesgericht hält fest, dass insbesondere bei der Beschränkung von politischen Äusserungen strenge Anforderungen gelten. Im Rahmen von politischen Debatten sind Aussagen nicht immer strikt an ihrem Wortlaut zu messen, da in diesen Auseinandersetzungen oft gewisse Vereinfachungen und Übertreibungen üblich sind. So wurden z.B. diffamierende Plakate von politischen Parteien im Rahmen von Abstimmungskämpfen bisher nicht bestraft. Die Verfahren wurden jeweils schon von den Staatsanwaltschaften frühzeitig eingestellt.
Der vor kurzem ergangene Schuldspruch für ein Plakat mit dem Schriftzug: «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» ist der erste Fall, in dem das Verbreiten eines offensichtlich diffamierenden Plakates bestraft wurde.
Vermehrt finden politische Diskurse auch im Internet statt. Durch die vermeintliche Anonymität sinkt die Hemmschwelle, rassistisch diskriminierende und diffamierende Äusserungen von sich zu geben. Gerade hier ist die Rassismusstrafnorm von grosser Bedeutung. Sie verhindert, dass politische Diskurse zu rassistischen Hetzkampagnen werden.
Rassistische Äusserungen von politischen Akteuren in den sozialen Netzwerken und in den Medien haben in letzter Zeit zugenommen und in einigen besonders krassen Fällen auch zu Schuldsprüchen geführt. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es sich in diesen Fällen um Äusserungen handelte, die von den Betroffenen als Privatpersonen ausserhalb eines politischen Kontextes gemacht wurden.

Fazit: Bei politischen Äusserungen wird der Meinungsäusserungsfreiheit ein besonders hoher Stellenwert beigemessen. Dennoch legt die Rassismusstrafnorm auch im politischen Diskurs eine rote Linie fest, die – zum Schutz der Menschenwürde – nicht überschritten werden darf.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Rassistische Hetze und Diskriminierung sind auch auf Facebook und Twitter & Co verboten. Das Internet ist der virtuelle Stammtisch von heute, mit dem Unterschied, dass er viel grösser ist als derjenige im Gasthaus. Oftmals stacheln sich die User gegenseitig an, wodurch sich die Aussagen zusätzlich verschärfen, und neues, womöglich sogar junges Publikum mobilisiert wird. Teilweise schrecken die Kommentierenden nicht davor zurück, mit vollem Namen und Angaben zu Familienstand, Beruf und Wohnort aufzutreten.

Ein Beispiel, wie solche rassistischen und hasserfüllten Kommentare eine Eigendynamik entwickeln können, war im Zusammenhang mit dem Aufflammen des Gaza-Konflikts im Sommer 2014 zu beobachten. Auf Facebook wurde eine Welle gravierender antijüdischer Kommentare bis hin zu Aufrufen zur Gewalt registriert. Gegen einige dieser Personen wurde Anzeige wegen Verletzung der Rassismusstrafnorm eingereicht, viele dieser Anzeigen führten zu einem Strafbefehl.
Rassistische Kommentare im Internet müssen nicht tatenlos hingenommen werden, Jeder und Jede kann etwas dagegen unternehmen:

  1. Usern, die sich rassistisch äussern, kann mit einer passenden Antwort entgegengetreten werden.
  2. Die rassistischen Kommentare können der Polizei oder der Staatsanwaltschaft gemeldet werden.
  3. Rassistische Kommentare können an die nationale Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) des Bundesamts für Polizei gemeldet werden. KOBIK ist die zentrale Anlaufstelle für Personen, die verdächtige Internet-Inhalte melden möchten – auf Wunsch auch anonym. Die Meldungen werden nach einer ersten Prüfung und Datensicherung den zuständigen Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland weitergeleitet.

Fazit: Für rassistische Äusserungen im Internet gelten dieselben Regeln wie offline: Öffentliche rassistische Hetze und Diskriminierung ist verboten und kann strafrechtlich verfolgt werden. Rassistische Kommentare müssen nicht tatenlos hingenommen werden, sie können der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder KOBIK gemeldet werden.

 

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